Der Priester

 

Kiria Ismini

 

Wäre die Maschine nach Athen planmäßig abgeflogen, wäre mein erster Urlaubstag, ja, vielleicht sogar der ganze Urlaub anders verlaufen. Ein aufregender Gedanke, daß eine

kleine Abweichung ein unvorhergesehenes Abenteuer mit sich bringt, nur schade, daß man nie wissen wird, was einem andererseits entgangen ist.

Meine Urlaubslaune ließ sich von der zweistündigen Verspätung nicht beeinträchtigen, schließlich hatte ich, von dem, vor mir liegendem Monat, noch keine Sekunde verplant. Irgendein Schiff würde mich in Piräus schon erwarten, allerdings wollte ich nicht nachts in einem menschenleeren Hafen landen und entschied mich für Ägina. Ich wußte, diese Insel war in einer Stunde zu erreichen und die Boote dorthin fuhren so regelmäßig wie Busse in einen Vorort.

Nachdem mein anrollendes Gepäck mich von der Furcht befreite, die kommenden vier Wochen mit dem, was mir am Körper klebte, überstehen zu müsse, eilte ich zum Taxistand. Eine Menschenansammlung versprach einen längeren Aufenthalt, den ich zum Sortieren der mir im Kopf herumschwirrenden griechischen Fetzen nutzte. Hatte ich mich dem Taxifahrer sprachgewandt genähert, konnte er mich nicht für eines der Greenhörner halten, für die er den doppelten Preis parat hatte.

Meine Vorsorge erwies sich als unnötig, mein Fahrer sprach nicht nur ausreichend Englisch sondern auch fließend Deutsch. Seine Mutter stammte aus Stuttgart und er war, wie er bedauerte, nur ein halber Grieche. Die Frage, wie sein Vater, vermutlich eine großzügige verschwenderische Spielernatur, mit einer schwäbischen Spardose zurecht kam, brannte mir während der ganzen Fahrt auf der Zunge, doch ich ersparte ihm weitere Konflikte.

So schnell war ich übrigens noch nie in Piräus, auf der Taxiuhr stand erstaunlich wenig,  mein Fahrer verlangte nicht viel mehr und fassungslos ob dieser Bescheidenheit, gab ich ihm fast das Doppelte. Vielleicht war das übertrieben, wäre dumm, wenn ich jetzt den letzten weißen Zipfel seines Taxifahrercharakters auf dem Gewissen hätte.

Am Hafen stieß ich auch sofort auf einen, der seinen Charakter widerstandslos gegen den Taxischein eingetauscht haben mußte. Auf meine Frage nach einem  Boot Richtung Ägina, gab er freundlich und hifsbereit Auskunft und hätte die Auskunft gestimmt, wäre er mir in guter Erinnerung geblieben. Doch kaum hatte ich meinen sympathischen Taxifahrer entlassen, entpuppte sich seine Beteuerung als Lüge, es gab kein Boot mehr und ich sah mich gezwungen, in Piräus zu übernachten. Mein verärgerter Blick irritierte ihn wenig, er bot an, ein paar Hotels mit mir abzufahren, denn schließlich war er auch Taxifahrer und ebenso befähigt, wie jeder andere.

Ich war unschlüssig, Zorn und Faulheit kämpften müde um die Oberhand. Doch als er mein Gepäck ergriff, um energisch voranzuschreiten, folgte ich willig. Der Hang zur Bequemlichkeit hatte gesiegt. Daß ich mich gleich im ersten Hotel einquartieren ließ, hatte auch mehr mit Resignation als mit Begeisterung zu tun.

Meinen unerwünschten Schlepper wurde ich trotzdem nicht los. Er ignorierte meine feindselige Miene und schwärmte von einem bezauberndem Fischrestaurant am Meer. Und obwohl ich ihm weder trauen noch mich an seinem gorillaähnlichem Aussehen erfreuen konnte, sagte ich schließlich zu. Immerhin flößte er mir keine Furcht ein. Die Alternative, in dieser trostlosen Hafengegend herumzuirren, um irgendwo mit irgendwas abgespeist zu werden, schien mir das größere Übel.

Möglicherweise wunderte ihn meine Zusage eben sosehr wie mich sein Vorschlag. So wie ich ihn behandelte, bestand kein Zweifel, daß weder der Vollmond über noch die schaukelnden Boote auf dem Wasser ein inniges Paar aus uns zaubern würden. Warum also?

Er war nicht mehr jung, etwa Mitte vierzig, vielleicht brauchte sein Ruf als Eroberer frische Politur. Vielleicht reichte es ihm, mit mir gesehen zu werden, um sich später über den Nachholbedarf der deutschen Frau auslassen zu können. Wird selten angezweifelt, hierzulande weiß doch jeder, daß deutsche Männer Luschen sind.

Ich entschied, mich auf keinen Fall einladen zu lassen, doch obwohl die Griechen in dieser Hinsicht sehr stolz sind, sah ich uns beide nicht um die Rechnung balgen. Immerhin benahm er sich wie ein aufmerksamer Fremdenführer, dem viel daran lag, mir das schönere Gesicht von Piräus zu zeigen und ich spielte mit dem Gedanken, ihn als Gegenleistung zum Essen einzuladen. Das würde die Fronten klären, außer er würde gerade das mißdeuten.

Am Ziel angekommen, beklagte er sofort die unbezahlbar hohen Preise. Meinen Einwand, "Hier wirkt niemand, als gäbe er ein Vermögen fürs Essen aus" mit einem "Sag nie ich hätte Dich nicht gewarnt" Gesicht quittierend, steuerte er einen Tisch an. Ich stoppte ihn, auf den zweiten Blick mißfiel mir die Atmosphäre. Klotzige Boote versperrten den Blick aufs Meer und nackte Glühbirnen warfen ein fahles Licht auf die Gäste, die statt freudig gestimmt, wie gelangweilte Schafe wirkten. Das hinderte ihn nicht, weiter Ausschau zu halten, und als er einen Tisch mit freier Sicht und defekter Glühbirne entdeckt hatte, blieben wir schließlich doch. Ein kurzer Schwatz mit dem Kellner hatte angeblich für einen guten Preis gesorgt.

Sein ständiges Preisbewußtsein ging mir langsam auf die Nerven, doch ich zeigte Entgegenkommen und schlug einfache Gerichte wie Kalamaris vor. Selbst jetzt krümmte er sich ängstlich. Mit diesem affigen Getue hatte er sich natürlich längst von meiner Einladungsliste gestrichen. Die Kalamaris waren übrigens ausgezeichnet, die Sardinen knusprig und der Salat frisch. Die anderen Beilagen verwischten den guten Eindruck wieder etwas, doch es gab Wein aus Santorini und ich war zufrieden. Wir vertrieben uns die Zeit, indem wir Brotkrumen ins Wasser warfen, die sofort im Kreis tanzten, sich irgendwann aufteilten um sich schließlich in Luft aufzulösen. Auch bei fünf gleichzeitig hinein geworfenen Stücken tanzte jedes mit gleicher Leidenschaft, die hungrigen Fische lauerten offensichtlich überall. Abgesehen davon, daß dieses kindliche Spiel meinen Gegenüber zu amüsieren schien, wirkte er nervös. Sein rechtes Knie zuckte rhythmisch zu einer, für mich nicht hörbaren, scheinbar sehr hektischen Musik.

Nachdem unser Brotkorb leer war und uns schon die Reste der Nachbarkörbe um die Ohren flogen, baten wir um die Rechnung. Mit einem triumphierendem "Und ich hatte recht" Blick hielt er sie mir entgegen. 20000 Drachmen wurden verlangt, die eigentliche Summe, 23500 war durchgestrichen, der Kellner hatte ja einen guten Preis versprochen. Umgerechnet sind 20000 Drachmen etwa 150 DM, die auszugeben kein Problem wäre, doch bei unserem vorsichtig gewähltem Menü hatte man die Rechnung um mindestens 8000 Drachmen (60 DM) aufgerundet.

Zweifellos hatte er das eingefädelt. Jetzt wurde mir auch klar, warum ich Respekt vor den Preisen kriegen sollte. Ich wies die Rechnung empört zurück und verfluchte die skrupellosen Kellner, die sich nicht genierten, die Unbeholfenheit eines armen Taxifahrers auszunutzen. Zum Glück hatte er mich an seiner Seite, falls er sich nicht zur Wehr setzen konnte, würde ich die Polizei rufen. Der Kellner lachte gehässig, er gönnte ihm den Reinfall. Obwohl eingeweiht, fühlte er sich nicht mitverantwortlich, offenbar profitierten nur der Manager und mein Begleiter von diesem Deal. Ich zückte 6000 Drachmen, beschwor ihn, keinesfalls mehr als 6000 dazu zulegen und diese Räuberhöhle nie wieder zu betreten.

Während der Rückfahrt fragte ich mich, wie viele Frauen schon sein Essen bezahlt und gleichzeitig ein Sümmchen für ihn hinterlegt hatten. War es denkbar, daß sein von mir belächeltes Äußeres woanders als geballte Ladung animalischen Sex Appeals Triumphe feierte? Nein, es mußte die Rolle des rettenden Engels sein, aus der er Kapital schlug. Allein in Piräus, läßt sich jede Frau gern vom freudlosen Teil ins Paradies führen. Und wenn der nette, zuvorkommende Führer ihr dann gesteht, sich dieses Paradies gar nicht leisten zu können, lädt sie ihn beherzt ein. Vielleicht ist sie gerührt, vielleicht peinlich berührt, vielleicht will sie auch einfach nur bleiben. Daß sie doppelt zahlt, fällt ihr bei der unvertrauten Währung nicht auf, außerdem hatte er ja genug Wirbel um die Preise gemacht. So war es wohl bisher, daß sein Gewinsel mein Börse nicht öffnete, sondern fester verschloß, beunruhigte ihn, daher vielleicht das zuckende Knie.  

Jetzt fahren wir an einen besonders romantischen Ort, unterbrach er meine Gedankengänge. Genug Romantik für heute abend, widersprach ich. Er beharrte nicht weiter, warum sollte er auch darum kämpfen, einer Frau, die ihn soeben um seine Hauptnebeneinnahme gebracht hat, Romantik vorzugaukeln? Daß er sein Ziel während unseres Essens nicht aufgab, wunderte mich sowieso. Er wußte, daß ich mich in Griechenland auskannte, er sah, daß ich nicht einzuschüchtern war; und daß er keinen Sympathie Bonus besaß, war ebenso unschwer zu erraten.

Entweder ging in letzter Zeit alles so glatt, daß er schon leichtsinnig wurde, oder so schleppend, daß er desperat war. Oder er war einfach noch viel dämlicher als er aussah.

Vor dem Hotel hieß es Abschied nehmen.

Fahr zur Hölle, hätte ich, Hol Dich der Teufel, hätte er am liebsten gesagt, doch beide blieben wir beim konventionellem Gute Nacht.    

Ahondissa

Kiria Ismini    

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