Der Priester

 

Der Taxifahrer

 

 

 

Es ist leicht, glücklich zu sein, wenn ein strahlend blauer Himmel sich in einer, felsumrahmten, lichtschimmernden Meeresbucht widerspiegelt.

Voller Dankbarkeit liege ich auf dem Bett, berauscht von diesem Anblick und der Aussicht auf drei weitere himmlische Urlaubswochen. Seit acht Tagen bin ich jetzt in Kini, doch bisher ist mir nichts so selbstverständlich, daß ich nicht jede Sekunde genießen könnte.

Von unten dringt Stimmengewirr und das nicht wegzudenkende Geräusch klappernder Würfel herauf. Jetzt um die Mittagszeit sind die Griechen nicht wortkarg, morgens dagegen höre ich nur die Geräusche des Tavlispiels.  Diese Männer wissen genug voneinander und können stundenlang miteinander schweigen, ohne die Ruhe als peinliche Stille zu empfinden. Daß ich mich in einem Hotel befinde, ist an den Handtüchern erkennbar, soweit vorzudringen ist allerdings nicht einfach, die Geheimhaltung von außen funktioniert perfekt. Kein Schild, kein Zeichen, kein Hinweis deutet darauf hin.

Und wäre dieses blumenumrankte, weiße Haus meiner Vorstellung vom glücklichen, griechischen Inselleben nicht so nahe gekommen, wäre ich auch nie hier gelandet. Doch da selbst die dazugehörige Taverne, mit den am Wasser grenzenden Tischen, so fabelhaft ins Bild passte, bat ich höflich - bescheiden um eine Unterkunft. Ich bezweifelte keine Sekunde, daß es sich um ein Privathaus handelte, doch hoffte, daß man mir, dank plötzlich aufkeimender Zuneigung, ein sonniges Zimmer mit Meerblick herrichten würde. Und sah mich Hotelbesitzern gegenüber, die auch ohne jede arschkriecherische Tour zu diesem Schritt bereit waren.

Inzwischen hege ich eine Sympathie für die Wirtin und meine, bei all ihrer Schrulligkeit auf etwas Gegenliebe gestoßen zu sein. Warum, weiß der Teufel, denn ehrlich gesagt, hat sie diesen Optimismus mit keinem Bissen genährt. Ohne eine Spur von Charme, oder auch nur dem Wunsch danach, schlurft sie freudlos durch ihren Alltag, keine Gelegenheit auslassend, sich mit ihrem, ebenfalls freudlos schlurfenden, Lebenspartner in den Haaren zu liegen. Sie gewinnt jeden Streit, denn egal ob er als erster loslegt, die ohrenbetäubenden Töne, die sie ihren durchtrainierten Stimmbändern entlockt, lassen selbst einem Streiterprobten wie ihm keine andere Wahl, als resigniert murrend davonzuschlurfen.

Glücklicherweise läßt sie sich mit Hilfe eines Kartenspiels sowie der nötigen Anzahl Gleichgesinnter für Stunden ruhig stellen und dank dieser Leidenschaft kann man es trotz allem ein ruhiges Haus nennen. In welchem Hunderte von Spielkarten deponiert sein müssen, denn als sie meinen Ausweis suchte, stieß sie in allen Schubladen ständig auf Karten. Der Ausweis blieb verschollen, fand sich aber am nächsten Tag wieder ein. Auch ein Kartenhaus verliert eben nichts auf ewig.

Mir ist längst klar, warum ich diese schlurfende, schnauzende Kartenspielerin ins Herz geschlossen habe, sie erinnert mich an meine, (kürzlich verstorbene) Mutter. Sie hat den gleichen  illusionslosen Gesichtsausdruck, gepaart mit einem trotzigem Zug um den Mund. Auch die Augen sind identisch, nur den ironisch spöttischen, mitunter auch schalkhaften Blick meiner Mutter hat Kiria Ismini nicht vorzuweisen. Ich weiß allerdings nicht, warum diese Ähnlichkeit mich sentimental stimmt, schließlich ist es genau das, was ich nicht hoffe, eines Tages im Spiegel zu entdecken.

Da Kiria Ismini jede freie Stunde den Karten opfert, hatte sie nie Zeit gefunden, Englisch zu lernen und Kirios Ismini sitzt seinerseits am liebsten vor dem Tavlibrett. Doch die Tatsache, daß sie sich auch eine Bedienung ohne Sprachkenntnisse leisteten, bestätigte meinen Verdacht, daß man sich hier wenig um ausländische Touristen reißt. Nur wer sich absolut nicht entmutigen läßt wird nachsichtig geduldet.

Bis gestern war ich der einzige Fremdkörper, obwohl genau genommen, im ganzen Haus nur noch ein anderes Zimmer belegt war. Hier logierte eine elegant, klug und streng wirkende Griechin aus Athen, die mir anfänglich so arrogant vorkam, daß ich einer Unterhaltung strikt aus dem Wege ging. Als das Gespräch dann doch stattfand, entpuppte sie sich als recht unterhaltsam und ich erfuhr einiges aus ihrem bewegten Leben. Sie war annähernd achtzig, doch etwas Kämpferisches, das von ihr ausging, verbot es mir, sie als alte Dame zu bezeichnen.

Ihrer Beteuerung, sich nichts aus Gold, Geld und Wertsachen zu machen, hatte ich nichts entgegenzusetzen, denn so wie sie aussah, hatte sie ihr Leben lang mehr als genug davon besessen. Das Schicksal hatte ihr nur wohlhabende Männer beschert, trotzdem konnte sie, nach dreimaliger Eheerfahrung, das Alleinsein empfehlen. Offenbar hatte sie alle drei erfolgreich unter die Erde gebracht und ließ es sich jetzt richtig gut gehen. Einsamkeit war ihr fremd, denn Freunde in Wien, Rom, Tel Aviv und anderen Teilen der Welt erfreuten sich ihres regelmäßigen Besuchs. Leider kamen wir erst am Vorabend ihrer Abreise ins Gespräch und ich bedauerte, daß ihre hochmütige Strenge mich eine Woche von ihr fernhielt, gern hätte ich mehr aus ihrem Leben erfahren.

Auch eine andere Frau könnte mir sicher viel erzählen. Es ist die Mutter meiner wiedergefundenen Mutter, ein weißhaariges Persönchen, das wie ein übriggebliebenes Fossil aus längst vergangener Zeit Tag für Tag den Eingang der Taverne schmückt. Man sagt, sie sei über neunzig, doch so zierlich, alt und verwunschen wie sie aussieht hätte ich ihr auch hundertneunzig abgenommen. Sie sitzt immer rechts neben der Tür und gibt dem Platz die Ruhe und Harmonie, von der ihre kartenspielende Tochter so wenig besitzt.

Heute morgen saß die Alte nicht auf ihrem Stuhl und auch sonst war niemand zu entdecken. Dann sah ich Kiria Ismini, sie hatte sich einige Schritte vom Haus entfernt und blickte besorgt aufs Wasser.  Ihre Aufmerksamkeit galt einer Gruppe diskutierender Griechen, die  im Kreis um etwas herumstanden, das ich anfangs für ein totes Tier hielt. Doch es war ein Mann, der, das linke Bein noch im Wasser, friedlich ausgestreckt am Strand lag. Sofort malte ich mir üble Machenschaften aus, gewissenlose Gangster hatten ihn auf hoher See umgebracht, danach ins Meer geworfen und nun hatte die Strömung  ihn hier an Land gespült. Daß er nicht beim Baden ertrunken sein konnte, bewies die Kleidung.  Die Wahrheit war weniger abenteuerlich, der Mann hieß Petrides und war ein 65jähriger Fischer, den jedermann kannte. Er war beim Besteigen seines Bootes von einer Herzattacke überrascht und von den hinzueilenden Männern an Land gezogen worden.

Die Umstehenden waren ratlos, ab und zu nahm jemand seine Hand, die leblos zurückfiel. Petrides hatte seine Augen geschlossen und wollte seine Ruhe. Er hatte sein Leben bereits ausgehaucht und somit die aufgescheuchten Griechen von der Angst befreit, wegen möglicher Falschreaktion oder versäumter Hilfeleistung, Mitverantwortung tragen zu müssen. Anständig von ihm, sich fix, und ohne anderen ein schlechtes Gewissen einzujagen, zu verabschieden.

Inzwischen kam der Ambulanzwagen, aus dem zwei Männer sprangen, die ihn auf eine Bahre legten und mit einem Laken bedeckten. Daran, daß auch sein Kopf darunter verschwand, war zu erkennen, daß niemand seinen Tod bezweifelte. So wurde Petrides, verhüllt wie eine Peinlichkeit, davongetragen. Bald würde ein numerierter Zettel mit Namen und Sterbedatum einen seiner Füße schmücken, andere Menschen würden in seinen Habseligkeiten wühlen und ihm nachträglich seine kleinen Geheimnisse entreißen. Doch vielleicht hatte er gar keine Geheimnisse und wenn, dann waren sie sicher nicht aufregend genug, sich ihrer Preisgabe wegen, im Grab herumzudrehen.

Zwei Tage wurde über Petrides diskutiert, dann war wieder alles beim alten. Das heißt, nicht ganz, zwischen mir und Kiria Ismini hat sich,  seit wir gemeinsam auf den toten Fischer gestarrt hatten, etwas verändert. Jetzt schenkt sie mir Kuchen, kneift mich im Vorbeigehen zärtlich in die Schulter und zeigt mir so etwas wie Zuneigung. Ich bin glücklich und bilde mir ein, daß sie von ihrer Mutterrolle weiß. Auch Kirios Ismini, der von keiner Vaterrolle wissen kann, findet plötzlich Gefallen daran, mich zu kneifen. Man sagt, er sei mal ein toller Hecht gewesen und  will, zwei Schlaganfällen zum Trotz, beweisen, daß mit ihm als Mann noch zu rechnen ist. Für Katharina, einer jungen Frau aus Athen bildet er ohnehin keine Ausnahme, sie ist überzeugt, daß alle Griechen ein Leben lang sehr lange Hände haben. Kirios Ismini heißt übrigens Jorgos, und da seine langen Hände täglich die Katzen und Enten füttern, nehme ich sie ihm nicht weiter übel. Einem Tierliebhaber werde ich immer mehr verzeihen als einem Tierverscheucher.

Heute ist mein letzter Tag in Kini. Kiria Ismini hatte mir, nachdem sie das Gewicht meines Gepäcks mit Kuchen, Ouzo und Metaxa verdoppelt hatte, ein Taxi bestellt. Es kam, doch leider so spät, daß ich befürchten mußte, das Schiff in Hermoupolis zu versäumen. Auch sie wurde während unseres Wartens immer nervöser und ihr hektisches Rein und  Rausrennen amüsierte mich so sehr, daß ich beinahe vergaß, um wessen Abreise es sich handelt.

Doch nun sitze ich im Taxi, und schaue vom höchsten Punkt noch einmal auf Kini zurück. Ich bin überrascht, wie sehr der Anblick dieser Bucht mein Herz berührt und völlig machtlos, als ein unerwartetes Gefühl mir die Tränen in die Augen treibt. Es ist mir recht, daß es dem Fahrer dank meiner dunklen Brille verborgen bleibt, doch es ist mir nicht peinlich, und ich ahne, daß ich Kini oft wiedersehen und bei keinem Abschied die Sonnenbrille vergessen werde.

 

Ahondissa

 

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